Der Schnarchenreuther Schnarchhorn-Orden

Es war im Jahre 1320, zu jener Zeit, als das Mittelalter am finstersten war und es im Frankenwald noch Bären gab. Es war Spätsommer in Schnarchenreuth, die letzten warmen Tage nach einem langen und heißen Sommer, nach einem viel zu kurzen und zu nassen Frühling. Die Dämmerung zog auf, ein voller Mond stand, leicht nebelverhangen, an einem sonst wolkenlosen Himmel. Von einem milden Lichte beleuchtet ragte die Burg aus dem Bodennebel. Aus der Ferne drang das Heulen eines Wolfes durch die Stille. Ein leichter Wind wehte und ließ die Fahne auf dem Turm in kleinen eleganten Bewegungen um ihren Mast tanzen. Der Tau auf dem Gras durchnässte die Stiefel der Horde Männer, die aus der fernen Mongolei hierher gekommen waren, um die Jungfrau Tusnelda zu rauben, deren Schönheit, seit sie heiratsfähig war, auf der ganzen Welt, in den Indianerzelten Amerikas, den Iglus am Nordpol, in den Strohhütten Afrikas bis hin zu den Palästen des Kaisers von China besungen und bewundert wurde.

Es war eine Horde der schrecklichsten Männer, die man sich nur vorstellen kann, weit über Hundert werden es wohl gewesen sein, mit wilden Bärten, groß und muskulös, mit Fellen bekleidet, grimmigem Blick und zu allem entschlossen. Morgensterne, Brandramme, Schwerter, Flammenkeule und noch mehr furchteinflößende Waffen führten sie mit sich, um die Burg zu stürmen und Jungfrau Tusnelda zu entführen. In der Burg, so haben sie auskundschaftet, ist zuvor bis tief in die Nacht gefeiert worden, ein leichtes Spiel also, so dachte der Hauptmann der Horde. „Rührt die Trommeln!“ befahl er seinen schwedischen Söldnern. Bumbum bumbum bumbum schlugen die Soldaten die Trommeln und die Horde setzte sich mit lautem „Hu Hu“ in Bewegung. Das klang schon schwer beeindruckend und gehörte zu den damaligen Einschüchterungsmethoden der psychologischen Kriegsführung.

Normalerweise bricht dann in den angegriffenen Burgen und Dörfern panische Hektik aus. Soldaten rennen zur Mauer um den Angriff abzuwehren, Angsthasen rennen zu den Ställen um sich dort zu verstecken, Gesindeleute rennen um etwaige Brände zu löschen oder Vieh zu retten, Frauen rennen um die Kinder zu retten und die Kinder rennen um was zu erleben.

Also, normalerweise ist dann schon richtig was los, wie gesagt, nicht aber so in Schnarchenreuth, da hatte man ja lange gefeiert. Wie die Alten erzählen, war es so, dass just in dem Augenblick, als sich die Horde mit Trommelklang und lautem „Hu Hu“ der Burg näherte,  des Gebhards Siegbert, der grad Turmwache hatte, mit seinem Signalhorn volltrunken von der Bank fiel und laut anfing zu schnarchen. Durch das Signalhorn um ein vielfaches verstärkt, hallte das Echo seines Schnarchens laut, dunkel und grollend von den Burgmauern zurück und dröhnte den Schnarchenreuther Hang hinab. „GRRRRrrrrrrg ...pfffff  GRRRRRrrrrrg ..pffff   GRRRrrrrrg ....pfffff

Die mongolische Horde mit ihren schwedischen Söldnern erschraken darob derart, glaubten sie doch mit ihrer Trommelei und ihrem Gegröle den Schnarchenreuther Riesenbären oder gar ein unheimliches und gefährliches Monster, ja vielleicht sogar einen Feuer speienden Flugdrachen oder im schlimmsten Fall (man mag es sich nicht ausdenken) die Herzogin geweckt zu haben, dass sie Hals über Kopf alles von sich warfen und flüchteten so schnell sie konnten.

Die Schnarchenreuther hätten davon gar nichts bemerkt, wenn nicht der Bürgermeister von dem lauten Schnarchen wach geworden wäre. Der ging verärgert zur Quelle des Geräusches, nahm dem Siegbert das Horn weg und schaute verdutzt über die Mauer auf den Haufen zurückgelassener Geräte und Waffen. Soeben konnte er noch die letzten Männer auf ihrer Flucht im Frankenwald verschwinden sehen. Natürlich hat er den ganzen Rödel später in sein Haus schaffen lassen. Seit dem wurde der Schnarchenreuther Bürgermeister „Herr des Rödels“ genannt, in der Neuzeit einfach kurz „Herr Rödel“, aber auch diese Tradition ist nun zuende, wie so vieles.....

Jedenfalls ward Siegbert nun „der Schreckliche“ genannt, war der Held des Landes und wusste zeit seines Lebens nicht wirklich, warum, aber das war ihm dann egal, er hat es sehr genossen....
Ihm zu Ehren und zum Lobe des allmächtigen Herrn, der die Burg und Tusnelda vor einem grausigen Schicksal bewahrt hatte, (noch heute gibt es die Redewendung: „Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf“) wurde gleich am selbigen Tag der höchst ehrenvolle, vom Herzog geadelte „Schnarchenreuther Schnarchhorn-Orden“ gegründet, der auf diese listige Art die Burg unbeschadet durch die Schmalkaldischen Kriege geführt und vor der Eroberung durch die Hussiten bewahrt hat. (Heute geht das natürlich nicht mehr, wegen der Autobahn, aber die Tradition ist geblieben.) Und noch am selbigen Abend wurde dieses historische Ereignis gebührend und mit vollen Hörnern gefeiert.

Da neben der Jungfrau Tusnelda auch noch 278 Kühe, 126 Pferde und 96 Burgbewohner (ohne Herzog) gerettet wurden, ließ der Herzog 278 Hörner mit Silber, 126 Hörner mit Gold und 96 Hörner mit Edelsteinen sowie das Eine, das ganz Reine, so wie Gott es schuf, als Symbol für die Jungfer Tusnelda, anfertigen und diese, verbunden mit angenehmen Privilegien, an die Edlen des Landes verteilen. (Das Eine bekam natürlich der Herzog.)

Und jedes Jahr im Spätsommer trafen sich fortan die Ritter des Schnarchenreuther Schnarchhorn-Ordens auf der Burg zu Schnarchenreuth, zum Gedenken an ihren spirituellen Ahnherren, Siegberts des Schrecklichen.
Seit Jahren geht das nicht mehr, wegen der Schnarchenreuther Bierkrise. Die Brauerei nebenan hat dicht gemacht.
Geblieben ist allein der weltberühmte Trinkspruch des Schnarchenreuther Schnarchhorn-Ordens: „Holzauge – sei wachsam!!!“

Aber die Tradition soll, begünstigt durch die Autobahn, wieder aufleben und so ruft denn der Herzog zum Herbst 2020, zum 700. Gründungsjahr des Ordens, die Edlen und Helden des Landes wieder zusammen, um erneut die Burg zu retten, der Tapferkeit der Vorväter zu gedenken, Bier zu brauen und mit vollen Hörnern zu feiern.

copyright 2020 Hans-Norbert Diehl


Interview mit
Herzog Johnny
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